Der dunkle Schatten von ChatGPT – Internetbetrug auf Steroide

ChatGPT ist derzeit in aller Munde. Der Chatbot, der im November 2022 veröffentlicht wurde, beruht auf künstlicher Intelligenz und hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir im Internet nach Informationen suchen, zu revolutionieren. Im Gegensatz zu traditionellen Suchmaschinen wie Google, die auf Schlagwörtern und Verknüpfungen von Websites basieren, versteht er natürliche Anfragen und liefert kontextbezogene Antworten. Oder kurz: Er findet auf nahezu jede Frage eine Antwort und kann sie auch noch als grammatikalisch einwandfreien Text ausliefern. Zur Textein- und -ausgabe nutzt Chat GPT den KI-Algorithmus GPT-3.

Doch leider gibt es auch eine Kehrseite der Medaille, denn neben Marketers haben Cyberkriminelle die Software für sich entdeckt, um sie für den Internetbetrug zu nutzen.

Was ist GPT-3?

GPT-3 (Generative Pre-trained Transformer) ist ein KI-Sprachmodell, das Deep Learning verwendet, um menschenähnliche Texte zu erstellen. Es wurde vom amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt und trainiert. GPT-3 nutzt die fortschrittliche Transformer-Architektur und verfügt über 175 Milliarden Neuronen, was ihn zu einem der grössten Sprachgeneratoren der Welt macht. Mit GPT-3 werden so Aufgaben wie Texterstellung, Übersetzung, Beantwortung von Fragen und sogar Programmierung durch natürliche Sprachverarbeitung automatisiert.

Mit sehr detaillierten Anweisungen kann man dem Modell mehr Kontext geben, wie es eine Antwort produzieren soll. Die Kunst, solche Aufforderungen so zu gestalten, dass sehr spezifische und qualitativ hochwertige Antworten erzielt werden, wird als Prompt Engineering bezeichnet.

Neue Möglichkeiten für Phishing und BEC 

Und genau dieses Konzept machen sich nun Cyberkriminelle zu eigen. Eine Studie, die unlängst von Forschern des internationalen Sicherheitsunternehmens WithSecure durchgeführt wurde, zeigt, wie das GPT-3-Modell zur Generierung natürlicher Sprache und der darauf basierende Chatbot ChatGPT eingesetzt werden können, um Social-Engineering-Angriffe zu verbessern, indem sie immer leichter durchzuführen und vor allem immer schwieriger zu erkennen sind. Dazu gehören Phishing, bei dem betrügerische Nachrichten versendet werden, um beispielsweise vertrauliche Informationen wie Passwörter oder Kreditkarteninformationen zu stehlen, oder Business E-Mail Compromise (BEC), eine Methodik, mit der Betrüger mit gefälschten Geschäfts-E-Mails an sensible Daten gelangen oder Finanztransaktionen auslösen.

In einem Statement der beiden Forscher Andrew Patel und Jason Sattler von WithSecure Intelligence heisst es: 

“Mit der breiten Freigabe von benutzerfreundlichen Tools, die autoregressive Sprachmodelle wie GPT-3 und GPT-3.5 verwenden, kann nun jeder mit einer Internetverbindung in Sekundenschnelle menschenähnliche Sprache erzeugen. Die Generierung von vielseitigem Text in natürlicher Sprache aus einer geringen Menge an Eingaben wird unweigerlich das Interesse von Kriminellen wecken, insbesondere von Cyberkriminellen – falls dies nicht schon geschehen ist. Ebenso könnte jeder, der das Internet nutzt, um Betrug, gefälschte Nachrichten oder Fehlinformationen im Allgemeinen zu verbreiten, Interesse an einem Tool haben, das glaubwürdige, möglicherweise sogar überzeugende Texte in übermenschlicher Geschwindigkeit erstellt.”

So können Cyberkriminelle mithilfe von Chat GPT ganze E-Mail-Kampagnen aufsetzen, indem sie eine Eingabeaufforderung schreiben und automatisiert eine unbegrenzte Anzahl individueller Varianten derselben Phishing-E-Mail generieren. Das macht jede dieser Nachrichten einzigartig.

Für mehr Authentizität können die Betrüger darüber hinaus ganze E-Mail-Ketten zwischen verschiedenen Personen erstellen und ihrem Betrug so mehr Glaubwürdigkeit verleihen. In ihrer Studie “Creatively malicious prompt engineering” nennen die WithSecure-Forscher dafür konkrete Beispiele:

Beispiel 1:
“Write an email from [person1] to [person2] verifying that deliverables have been removed from a shared repository in order to conform to new GDPR regulations.

Beispiel 2:
“Write a reply to the above email from [person2] to [person1] clarifying that the files have been removed. In the email, [person2] goes on to inform [person1] that a new safemail solution is being prepared to host the deliverables.”

Beispiel 3:
“Write a reply to the above email from [person1] to [person2] thanking them for clarifying the situation regarding the deliverables and asking them to reply with details of the new safemail system when it is available.” 

Beispiel 4:
“Write a reply to the above email from [person2] to [person1] informing them that the new safemail system is now available and that it can be accessed at [smaddress]. In the email, [person2] informs [person1] that deliverables can now be reuploaded to the safemail system and that they should inform all stakeholders to do so.” 

Beispiel 5:
“Write an email from [person1] forwarding the above to [person3]. The email should inform [person3] that, after the passing of GDPR, the email’s author was contractually obliged to remove deliverables in bulk, and is now asking major stakeholders to reupload some of those deliverables for future testing. Inform the recipient that [person4] is normally the one to take care of such matters, but that they are traveling.

Thus the email’s author was given permission to contact [person3] directly. Inform the recipient that a link to a safemail solution has already been prepared and that they should use that link to reupload the latest iteration of their supplied deliverable report. Inform [person3] that the link can be found in the email thread. Inform the recipient that the safemail link should be used for this task, since normal email is not secure. The writing style should be formal.”

Die E-Mails werden zudem immer glaubhafter, da die KI nicht nur einwandfreie Rechtschreibung und Grammatik verwendet, sondern auf Basis zahlreicher Kommunikationsbeispiele den Schreibstil echter Menschen nachahmt. 

Eine neue Qualität von Phishing-Ködern

Chet Wisniewski, Cybersecurity-Experte beim britischen Sicherheitssoftware-Unternehmen Sophos, sieht die neue Gefahr, die von Chat GPT ausgeht, genau in dieser Verbesserung der Qualität von Phishing-Ködern:

“Damit sind Phishing-Angriffe selbst für aufmerksame Nutzer immer schwieriger zu identifizieren. Letztendlich liefern die immer besseren KI-Chatbots ein kostenloses Upgrade für alle Arten von Social-Engineering-Angriffen. Programme wie ChatGPT können dazu genutzt werden, kriminell orientierte, sehr realistische, interaktive Gespräche via E-Mail zu führen oder Chat-Angriffe über Facebook Messenger, WhatsApp oder andere Chat-Apps zu starten. Heute besteht die grösste Gefahr für die englischsprachige Zielgruppe. Es ist aber wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis neue Versionen verfügbar sind, um glaubwürdige Texte in allen häufig gesprochenen Sprachen der Welt zu erstellen. Wir haben ein Stadium erreicht, in dem Menschen immer öfter nicht in der Lage sind, maschinengenerierte Prosa von der von Menschen geschriebenen zu unterscheiden – insbesondere, wenn wir das Gegenüber nicht gut kennen.“

Zusammengefasst bedeutet dies wohl, dass die Zeiten, in denen sich Phishing-Mails und BEC-Angriffe anhand von ungewöhnlichen Formulierungen, Grammatik- und Rechtschreibfehlern identifizieren lassen, vorbei sind. Laut Experten seien so gut wie alle Anwendungsarten im Bereich KI mittlerweile in der Lage, einen Menschen in fast 100 Prozent der Fälle zu täuschen. Dazu gehört auch ChatGPT – eine geniale Text-KI und ein mächtiges Werkzeug für Cyberkriminelle. 

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